Marokko - West Sahara

Genauso unendlich wie der Blick von Sidi Ifni auf das Meer erscheint uns am nächsten Tag die Landschaft nach Guelmim auf dem Weg nach Süden und wir wissen hier noch nicht, dass die Unendlichkeit noch viel größer sein kann.
Bis Tan Tan durchfahren wir eine steinige Ebene aus roten Felsen, die um uns herum mit runden dunklen Felskuppen eingerahmt ist.
Dann finden wir uns plötzlich am Atlantik wieder. Auf über 150 Kilometer fahren wir fast ausnahmslos direkt an der Abbruchkanter der steilen Klippen entlang, queren tiefe ausgetrocknete Flussbette und schmale Felsdurchbrüche.


Wir befinden uns auf der einzigen durchweg asphaltierten Transsahararoute von Marokko über Mauretanien in den Senegal. Lediglich 5 Kilometer unbefestigtes vermintes Gebiet an der Grenze zu Mauretanien bereiten ein wenig Nervenkitzel, ansonsten hat diese Strecke ihren Schrecken verloren. Für alle Saharadurchquerer ist diese Route zur Zeit auch die sicherste. Die Klassiker in Algerien, Niger und Mali werden wegen den dortigen radikalen Islamisten für lange Zeit nur unter größten Gefahren machbar sein.
Doch auch die West Sahara galt lange Zeit als unsicher und darf auch heute nur auf einigen bestimmten Wegen befahren werden.
Der Status der West Sahara ist völkerrechtlich umstritten. Nachdem die spanischen Kolonialherren in den 70er den letzten Jahrhunderts das Land verließen wurde es von Marokko besetzt. Die Sahrauis, strebten aber nach Unabhängigkeit und so entbrannte ein Guerillakrieg mit der Polisario-Front.
Dies bekommen wir auch heute noch zu spüren. In der sonst menschenleeren Wüste wimmelt es von marokkanischen Soldaten und Polizei. Wir durchfahren viele Kontrollposten, an denen wir freundlich aber bestimmt ausgequetscht werden:
"Woher, wohin, wieso, Beruf, weswegen überhaupt?"
Kurz vor unserem ersten Etappenziel, dem Städtchen Tarfaya, taucht sie dann vor uns auf, die klassische, überwältigende Wüsten. Kilometerlange geschwungene Sanddünen, unterbrochen von steinigen und felsigen Ebenen.


Die  tiefstehende Sonne wirft unzählige Schatten in diese Landschaft, die hierdurch noch plastischer und geheimnisvoller wirkt.
Antoine de Saint-Exupery lebte einige Jahre in Tarfaya und verfasste hier "Der kleine Prinz". Ansonsten gibt es hier nicht viel zu tun und zu sehen. Selbst die Wracks vieler gestrandeter Schiffe sind verschwunden, verspeist vom rauen Atlantik, entsorgt für den neuen modernen Hafen hier im Nirgendwo. Ein Schiff wurde wohl vergessen und rostet nur wenige Meter vom Strand vor sich hin. Das Ende einer wahnwitzigen Idee mitten aus der Wüste heraus eine Fährverbindung zu den Kanaren aufzubauen.

   

 Von Tarfaya führt unsere Route immer südwärts nach Laayouen, der größten Stadt in der West Sahara. Hier lebt fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 530000 Menschen. Auf einer Fläche, nur etwa ein Drittel kleiner als Deutschland, verteilt sich somit ein Mensch auf einem km². Im Vergleich hierzu sind es 230 Menschen pro km² in Deutschland. Einsamer geht es kaum.
Viel früher wie geplant kommt Claudia hier in den "Genuss" unbefestigte Wege zu fahren. Eine längere Baustelle zwingt uns zum Ausweichen auf eine parallel verlaufende Piste. Nach kurzer Zurückhaltung werden dann aber die vor uns her kriechenden LKW, die lange Staubfahnen hinter sich herziehen, zügig überholt. Feuertaufe bestanden.


Am Stadtrand von Laayouen passieren wir den letzten Militärkontrollpunkt vor dem zentralen Teil der West Sahara in Richtung der sagenumwobenen Stadt Smara. Noch einmal müssen wir uns vielen Fragen stellen und man versteht unsere Gründe eigentlich nicht so recht, wieso wir in ein so unwirtliches Gebiet fahren möchten. Wieso man sich als "Tourist" in dieses Gebiet begibt, stößt bei den Soldaten auf völliges Unverständnis, die dieses Wort ganz offensichtlich anders definieren.
Die nun folgenden 240 Kilometer bis Smara stellen alles, was wir bisher an Wüstenstrecken mit dem Motorrad befahren haben in den Schatten. Sicherlich war die Wüste Lut in Iran, mit einhundert Kilometer topfebener völlig vegetationsloser Kiesfläche absolut beeindruckend, wie auch die belutschische Wüste im Westen Pakistans. Aber hier bekommt Nichts oder nur sehr wenig davon, eine ganz neue Bedeutung. Auf der gesamten Stecke gibt es keine Tankmöglichkeit. An dem einzigen Abzweig zu einer Phosphatmine, dem südlichsten Punkt unserer Reise, gibt die Möglichkeit sich, in einem heruntergekommenen völlig alleinstehenden Häuschen, mit Wasser, Cola oder Tee zu versorgen. Das ist alles, was Mann oder Frau auf einer Strecke von Frankfurt/Main nach Nürnberg zur Verfügung steht

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Die Straße ist mittlerweile recht gut ausgebaut, jedoch können Sandverwehungen immer wieder die Fahrbahn überdecken.
Alles beginnt recht eintönig, links und rechts breitet sich bis zum Horizont eine flache Reg Ebene (Kieswüste) aus. Nach etwa 100 Kilometern wechseln sich breite Sandflächen und kleinen Dünen mit groben Felsen ab.
Hier und da folgen wir für ein paar hundert Meter aus purer Neugier abzweigende Fahrspuren, die ins Nirgendwo zu führen scheinen. Immer mit äußerster Vorsicht, um nicht in tiefen Sand zu geraten.
Hat man aber einmal den richtigen Untergrund erwischt, nicht zu sandig, nicht zu fest und nicht zu weich ließen sich mühelos viele Kilometer mit höhere Geschwindigkeit überbrücken. Eine Vorstellung, die mich sehr sehr reizt, wirklich ganz abseits jeder Straße in einer solchen Umgebung mit dem Motorrad unterwegs zu sein.


Aber auch unsere Route ruft ein seltsames, ganz eigenes Gefühl hervor. Das schnurgerade Asphaltband vermittelt die Sicherheit des gefahrlosen Vorwärtskommens. Die Stille, die unendliche Leere und Weite einen Gemütszustand, wie wir ihn so noch nie zuvor hatten. Ein Mix aus Neugier, Respekt, innerer Unruhe und völliger Gelassenheit. Ob hier wohl eine Suchtgefahr lauert?
Etwa 70 Kilometer vor Smara durchfahren wir eine kleine Ortschaft, eher eine Ansammlung einer Hand voll Häuser. Alles scheint wie ausgestorben. Doch vieles deutet daraufhin, dass hier doch Menschen leben.
Das Gelände wird nun welliger. In der Ferne tauchen riesige langgezogene braune und tiefschwarze Tafelberge auf. Vereinzelt sind auch wieder kleine Bäume zu sehen, die aussehen, als hätte man sie wahllos in den Sand gesteckt.


Endlich taucht Smara am Horizont auf, doch es dauert noch lange, bis wir in die geheimnisvolle Wüstenstadt einfahren. Der Standard unseres Hotel entspricht seiner Lage im Nirgendwo. Mehr muss hierzu nicht gesagt werden.
Nach Sonnenuntergang verwandelt sich das kleine Zentrum der Stadt in eine Filmkulisse eines Abenteuer- und Entdeckerfilms. Auf dem spärlich beleuchteten Bazar tummeln sich allerlei fremdartige Gestalten. Männer, deren Gesichter bis auf die tiefschwarzen Augen mit indigoblauen Turbanen verhüllt sind mustern uns mit ihren stechenden Blicken. Frauen im Schador erledigen feilschend ihre Einkäufe. Bärtige Händler bieten lautstark ihre Waren an. Eine geheimnisvolle fremde in sich abgeschlossene Welt, in die wir nicht eindringen können.
Am 03.10.2013 machen wir uns wieder auf den Weg nach Norden. Noch einmal liegen über 240 Kilometer einsame Wüste vor uns. Wie schon am Tag zuvor halten die wenigen Fahrzeug die hier unterwegs sind bei unseren Fotostops an. Man fragt ob alles in Ordnung ist, bietet uns Essen und Wasser an. Ein Gebot der Wüste, niemanden hier alleine scheinbar seinem Schicksal zu überlassen.
Als letzten Übernachtungsort hier im Süden wählen wir ein Hotel in El Quatia, direkt am Atlantik aus. Wir haben das Gefühl in einer wahren Oase angekommen zu sein.