Marokko - Der Südwesten

Guelmim ist die letzte Stadt, die wir aus der Wüste kommend durchfahren. Bei einer Mittagspause in einem kleinen Örtchen dürfen wir unser Fleisch direkt bei der  Metzgerbude nebenan aussuchen, welches fachmännisch mit Hackebeil zerkleinert  postwendend auf der Holzkohle des Grills am Straßenrand landet.
Von hier fahren wir in den Anti Atlas ein. Als hätten wir eine unsichtbare Grenze überfahren, ändert sich fast alles um uns herum. Die Dörfer hier unterscheiden sich total von denen im Süden. Es sind gewachsene Orte hier, alles scheint schon Jahrhunderte so zu sein. Im Süden und der West Sahara war das anders. Vieles schien dort aus dem Boden gestampft, alte Dorfzentren waren nicht zu erkennen.
Wie auch, so hatten wir in Tarfaya erfahren, gab es 2007 dort nur die Durchgangsstraße und eine Seitenstraße nach links und eine nach rechts. Das Stadtbild hat sich auf Grund der Siedlungspolitik Rabat´s völlig verändert. Daher auch die verlassen erscheinenden neueren Häuseransammlungen in der Wüste, die dort wie Fremdkörper erschienen.
Auf dem Weg nach Tafraoute durchfahren wir die ersten Täler mit üppig grünen Oasen, hinter denen gewaltige leuchtend rote Felswände aufragen. Wie immer versuchen wir die Nationalstraßen zu meiden und suchen und unseren Weg auf kleinen regionalen Wegen, kaum 5 Meter breit und fast ohne Verkehr. In langgezogenen herrlichen Kurven erreichen wir schnell eine Höhe von über 1300 Metern und kurven in leichtem auf und ab Tafraoute entgegen. Je näher wir unserem Ziel kommen, je eindrucksvoller wird die Kulisse. Gewaltige rote Felskegel und schroffe Felswände tauchen vor uns auf.


Riesige rote Felskiesel, mal so groß wie ein Kleinwagen, mal größer als ein Haus stapeln sich am Wegrand als hätten Riesen sie dort aufgeschichtet. Dazwischen drängen sich kleine Orte mit pastellroten Häusern, steil die Hänge hinauf. Alles wird von einer kühlen Biese umweht und die Luft riecht nach Kräutern und Nadelbäumen.
Wir sind in einer anderen Welt, einem anderen Marokko angekommen.
Wir haben uns kurzfristig entschlossen einen Tag länger in Tafraoute zu bleiben, um die Gegend zu erkunden. Fast jeder Einheimische empfiehlt uns einen Motorradausflug zur Oase Bou Jana zu machen. Etwas nördlich der kleinen Stadt zweigt ein kleines Sträßchen ab und windet sich die Berge hinauf. Danach geht es steil hinunter in eine Schlucht, die immer enger wird. Links und rechts ragen rote Felsmauern fast lotrecht in den Himmel. Plötzlich tauchen wir in einen dichten Palmenhain ein, die Kulisse ist atemberaubend schön. Ein kleiner Bach schlängelt sich mal hüben, mal drüben neben der nur drei Meter breiten Straße. Die dicken, eng stehenden Palmen spenden reichlich Schatten und alles ist von einer kühlen Briese umhüllt. Zwischen den Kronen der Bäume tauchen immer wieder diese gewaltigen roten Felswände auf. Darüber ein strahlend blauer Himmel. Immer tiefer führt der Weg in die Schlucht hinein, die sich zu einem Nadelöhr zu verengen scheint. Selten haben wir auf unseren Reisen einen derart stillen, malerischen und so beeindruckenden Ort besucht.



Es geht weiter Richtung Norden, dem hohen Atlas entgegen. Bis zu dem Örtchen Taliouine. Eine Tagesetappe zum genießen. Selten kommt uns auf der kleinen Nebenstraße ein Fahrzeug entgegen, alles scheint aus lang gezogenen Kurven in leichtem auf und ab zu bestehen. Kleine Berberdörfer kleben mit ihren dunkelbraunen Lehmfassaden an steilen Hügel, hier geht es sehr beschaulich zu. Fast endlos weit reicht der Blick über baumlose gelbe Hügel bis an den Fuß des Atlas Gebirges heran. Obwohl wir uns durchweg auf einer Höhe von über
1500 Metern befinden, scheint diese gewaltige Mauer aus Berggipfeln unüberwindbar.
In Taliouine wissen Claudia und ich, das ihr Soziadasein auf langen Reisen wohl endgültig der Vergangenheit angehört. Nicht dass es die vergangenen Wochen schlecht gelaufen ist, aber heute hat es sprichwörtlich "Klick" gemacht. Die Kurven gingen ihr viel zügiger und geschmeidiger von der Hand, alles so, wie es sein soll.



07.10.2013, heute steht der Tizi n´Test Pass über den Hohen Atlas nach Marrakesch auf dem Programm. Es soll einer der spektakulärsten Gebirgsstraßen Marokkos sein, so sagt man. Wir hörten abenteuerliche Geschichten über eine winzige Straße, die mit Schlaglöchern übersät sein soll, das Ausweichen bei Gegenverkehr soll kaum möglich sein, die Abgründe steil und ungesichert.
Letztendlich waren wir ein wenig enttäuscht, nicht weil uns der Nervenkitzel erspart geblieben ist, aber viele Beschreibungen sind maßlos übertrieben. Wer die Südrampe hinauffährt wird vor Tiefblicken nicht verschont bleiben und die Aussicht ist phantastisch. Man stelle sich eine etwas engere Südrampe am Timmelsjoch vor, mit etwas schlechterem Belag, et voila, der Tizi n´Test wäre auf jeden Fall einfacher zu fahren.

Bei 39 Grad erreichen wir das Zentrum Marrakesch´s. Uns scheint es als würden wir in voller Motorradmontur in einer Sauna Platz nehmen. Gerne hätten wir ein Hotel mitten in der Altstadt ausgewählt, doch wie schon in vielen anderen Städten zuvor bieten diese keine Möglichkeit die Motorräder sicher abzustellen. Nach schweißtreibender Suche durch die engen Gassen geben wir auf und finden eine Bleibe unmittelbar vor der 16 Kilometer langen Mauer, die die Altstadt umgibt.


Wir haben uns sehr auf diese Stadt gefreut, das orientalische Treiben in den engen Gassen, die Souks und den Jemaa de Fna, den Platz der Toten, auf dem vor über tausend Jahren öffentliche Hinrichtungen stattfanden und der seit Jahrhunderten von geheimnisvollen Gauklern, Tänzern, Schlangenbeschwörern, Wahrsager, Geschichtenerzähler und Wunderheilern belagert sein soll.
Um es vorweg zu nehmen, Marrakesch ist nicht zu unserer Stadt geworden. Vielleicht sind wir einige Jahre zu spät gekommen.
Uns scheint es so, dass die Gauklern, Tänzern und Schlangenbeschwörern nur noch dort sind um die Scharen von Touristen zu unterhalten, die sich nun neben schwarzafrikanischen Verkäufern von Iphone Imitaten und Plastikschnickschnack behaupten müssen. Einen echten Charme haben wir hier und auch in vielen Bazargassen, die zu 100 % auf den Tourismus zählen, nicht verspürt. Nur tief im Innern der Medina ist ansatzweise noch ein authentisches Altstadtleben zu spüren. Dort wird in engen verrußten Schmieden und dunklen Gerbereien das hergestellt, was um den Jemaa de Fna penetrant und gar manchmal unverschämt an die ausländischen Besucher gebracht werden soll.



Über den Tizi n´Tichka Pass führt die Hauptverbindungsstraße von Marrakesch in die Wüstengebiete des Südosten Marokkos. In langgezogenen Kurven windet sich die Straße steil den Berg hinauf. Es macht riesigen Spaß durch die schönen Links-, Rechtskombinationen zu schwingen, bis wir auf über 2000 Meter die Passhöhe erreicht haben. Vor uns breiten sich dann langsam weitläufige Steppen- und Wüstenebenen aus, die von den Ausläufern des Hohen Atlas eingerahmt sind. Immer häufiger sind nun auch die Kasbah´s der Mittelpunkt der kleinen Dörfern. Diese burgähnlichen, mehrstöckigen und oft weitläufigen Gebäudekomplexe waren einst Verwaltungszentren und Stammsitze der lokalen Fürsten. Viele sind, wie die traditionellen Dörfer um sie herum verfallen und Wind und Wetter preisgegeben. Einige liebevoll restauriert und als Museum oder Hotel hergerichtet. Wie zu uralten Zeiten wird hier noch ein Gemisch aus Lehm und Stroh als Baustoff verwendet.
Im Licht der tiefstehenden Sonne fahren wir über einen Pass in das saftig grüne Draatal ein. Hier reiht sich Oase an Oase und Kasbah an Kasbah, die von den alten Wohnhäusern wie ein Ring umschlossen werden.
Das leuchtende Grün der Dattelpalmen, Granatapfelbäumen und erntereifen Feldern bietet einen herrlichen Kontrast zu den rauen, roten und dunkelbraunen Bergen, die das Tal umgeben.
Im kleinen Örtchen Agdz finden wir am Ende eine holprigen Piste ein wahres Juwel.
Die alte zerfallene Kasbah der Ortes wurde von den Erben der einstigen Herrschern  in siebenjähriger Eigeninitiative zu einem kleinen stilvollen Hotel hergerichtet.
Das alte Dorf dahinter ist nach einer siebenjährigen Dürre in den achtziger Jahren verlassen und fast verfallen. Daran angrenzend breitet sich eine weit verzweigte Bilderbuchoase aus. Lange erkunden wir zu Fuß die engen Gassen der verlassenen Dörfchens, mit seiner kleine Moschee, dem Dorfbrunnen und steilen Treppen, steigen knarrende wacklige Stiegen hinauf und stellen uns vor, wie es hier vor gar  nicht allzu langer Zeit gewesen sein muss, als dieser Ort noch mit Leben gefüllt war, die Bauern ihr Stroh zum Trocknen ausbreiteten und frische Datteln aus der Oase in die Speicher gebracht wurden.


Von den Terrassen der Kasbah eröffnen sich unglaubliche Blicke auf die umliegenden Berge und Palmhaine, die im Licht der untergehenden Sonne in ein kräftiges Orange getaucht werden.
Es ist ein Ort zum Entspannen und Entdecken, an dem wir gerne noch ein paar Tage länger geblieben wären.