Pakistan

 

In Taftan, dem trostlosen, staubigen Grenzort übernachten wir in dem einzigen sehr einfachen Hotel. Noch vor Sonnenaufgang brachen wir gemeinsam mit Marc und Emy zu der 650 km langen Wüstenetappe nach Quetta auf. Auf der gesamten Strecke gibt es keine Tankstelle. Es ist nur geschmuggeltes Benzin von zweifelhafter Qualität, welches in rostigen Fässern lagert und über einen Trichter in den Tank gefüllt wird, zu bekommen.

Tankstelle Balutschistan

In der Planung sollte dies unsere härteste Etappe sein, sie war es aber nicht. Trotzdem verlangte die Strecke viel von uns und der KTM. Gleich nach Sonnenaufgang kommen wir in einer schwarzen Steinwüste in einen Sandsturm, der goldgelben Sand in Wolken von ca. einem Meter über die Fahrbahn weht. Der Wind ist so stark, dass ich mich mit dem Motorrad in eine gewisse Schräglage legen muss, um geradeaus fahren zu können. Trotzdem kommen wir auf der zunächst guten Fahrbahn recht schnell voran. Bals wird Strasse einspurig und führt durch eine Sandwüste. Die enge Fahrbahn erfordert ein ständiges Ausweichen vor entgegenkommenden LKW auf die angrenzende Piste. Gnadenlos beharren die Fahrer auf das Recht des Stärkeren.

Wüste

Im Laufe des Tages wird die Hitze fast unerträglich und der Durst immer grösser. Es folgen einige Pistenkilometer, die sich mit asphaltierter Fahrbahn abwechseln. Erst nach 12 Stunden erreichten wir in der Dämmerung Quetta. Glücklicherweise lotst uns ein Motorradpolizist den wir nach dem Weg gefragt hatten durch die smogdurchdrungenen Gassen von Quetta zu unserem Hotel. In gutem Glauben auf die Aussage des Hotelbesitzers, dass sich die Strasse in das 596 km entfernte Multan in einem guten Zustand befindet, sind wir am nächsten Tag in Richtung der Provinz Punjab aufgebrochen. Die Aussage trifft auf den ersten 120 km auch zu. Was dann kommt, ist eine einzige Katastrophe. Es folgen etwa 200 km übelste Piste, mit weichem Sand, faustgrossen Steinen und tiefen ausgefahrenen Erdmulden. Nur wenige Abschnitte sind schlecht asphaltiert. Diese Strecke ist nur mit schweren LKW , Geländewagen oder -motorrädern zu befahren, obwohl es auch Mini - Überlandbusse immer wieder versuchen. Die neue Strasse befindet sich bereits im Bau, jedoch können wir kaum Bautätigkeit feststellen. Es wird wohl noch Jahre dauern. Aber urplötzlich wird die Strasse dann doch besser und erlaubt uns schneller zu fahren. Als wir den letzten Pass vor dem Indusbecken überqueren wollen rückt der Abend immer näher und es ziehen Gewitterwolken auf. Trotzdem glauben wir das schlimmste hinter uns gebracht zu haben. Doch bereits bei der Auffahrt zum Pass verwandelt sich die Fahrbahn in eine tief ausgefahrene Piste. Mühsam schleichen wir hinter stinkenden LKW im Schneckentempo hinauf, da die Piste kaum ein gefahrloses Überholen zulässt. Es wird bereits Dunkel als wir die Passhöhe erreichen und bei völliger Dunkelheit schlittern wir hinab in eine tiefe, steile Schlucht Richtung Multan, unserem geplanten Übernachtungsort. Entgegenkommende fast unbeleuchtete LKW zwingen immer wieder zu einem Ausweichen an den nur zu erahnenden steilen Abgrund. Geblendet durch die Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge, durch tiefe Rinnen und grosse Steine auf der Piste kommen wir nur langsam voran. Was wir unbedingt vermeiden wollten war eingetreten, das Fahren bei Nacht auf Asiens Strassen. Im Tal wurden werden dann an einem Polizeiposten angehalten und kontrolliert. Eingestaubt und durch eine Flussdurchfahrt halb mit getrocknetem Schlamm überzogen, mit durstigen und müden Gesichtern, müssen wir wohl so viel Eindruck bei der Polizei erwecken, dass diese uns per Stafette eine Eskorte nach Multan bis vor unser Hotel zur Verfügung stellen. Gegen 22.00 Uhr überqueren wir den Indus, wir können ihn nicht sehen, aber wir spüren und riechen die feuchte, kühlende Luft dieses riesigen Stromes. Todmüde fallen wir erst gegen Mitternacht in Multan in unsere Betten. Am nächsten Tag gönnen wir unserer Motorradbekleidung und auch der KTM, die uns nun schon über so viele Kilometer gute Dienste geleistet hat eine ausgiebige Wäsche. Dieser Tag ist für uns als Ruhetag nach den vorangegangenen Etappen bitter nötig. Nach einem Tag in Multan starteten wir nach Lahore. Das fruchtbare und saftige Grün des Indusdelta ist eine Wohltat für unsere Augen, da wir nach weit über tausend Kilometern durch Wüstenlandschaften diesen Anblick vermisst hatten.

Überall erregen wir seit der Einreise nach Pakistan mit unserer KTM, sei es nun beim Tanken oder bei einer Rast am Wegrand, grosses Aufsehen. Innerhald kürzester Zeit versammelt sich eine riesige Menschentraube um uns. Der Verkehr gerät ins Stocken, da Fahrzeuge einfach auf der Strasse anhalten oder wieder rückwärts fahren. Wir werden einfach so zu Tee oder Essen eingeladen, man ist sehr interessiert an uns und unserer Reise. Selbst der Manager eines sehr guten Hotels in Lahore lässt es sich nicht nehmen uns 50 Prozent Rabatt zu gewähren und sich mit uns zusammen, samt KTM für die lokale Presse ablichten zu lassen. Spät am Abend besuchen wir die engen und verschlungenen Basargassen von Lahores Old City. Es ist eine Kulisse wie aus einem "Indiana Jones" Film. Bei einer von uns geschätzten Frauenquote von unter einem Prozent fällt Claudia dort besonders auf und wir blickten nicht immer in freundliche Gesichter. Die meisten Frauen in Pakistan sind tiefer verschleiert als in Iran. Hier sind oftmals nur die Augenschlitze durch den Schleier zu sehen. Nach einer entspannenden Fahrt und einer Nacht in Rawalpindi brechen wir am Morgen des 25.09.05 nach Norden auf. Hier geht für uns ein grosser Traum in Erfüllung, wir befahren die erste 200 km Etappe des 800 km langen Karakorum Highway, der uns in den nächsten Tagen auf den Khunjerab Pass auf über 4700 m an die chinesische Grenze führen soll.

Indus Kohistan

Wir durchfahren zunächst eine mit Kiefern bewaldete Mittelgebirgslandschaft auf der in sanften Kurven geschwungenen Strasse und tauchen dann in das tief und eng eingeschnittene Tal des Indus ein. Die steilen Berghänge sind hier in frisch grünen Terrassenfelder angelegt. Tief unten schlängelt sich wild, jedoch fast lautlos der Indus durch die Schlucht. Nach einer Nacht in Besham folgt der wohl wildeste Abschnitt des Karakorum Highway. Hier hat sich der Indus tief in die Schlucht gefressen. In die senkrechten Felsen über dem Fluss schlugen und sprengten pakistanische und chinesische Ingeneure von 1966 - 78 eine mehr oder weniger breite Fahrbahn mit gigantischen Felsüberhängen. Da hier die Erdplatten fast ständig in Bewegung sind, sind Steinschlag und Erdrutsche an der Tagesordnung, so dass einige Streckenabschnitt lediglich aus einer steinigen Piste bestehen. Statistisch kamen beim Bau der 800 km langen Strasse alle 1,5 km ein Mensch ums Leben. In Besham beginnt das Gebiet Indus Kosistan. Hier vor sind wir gewarnt worden, vor dem gesetzlosen Gebieten abseits der Strasse, den Menschen hier, die nur widerwillig Fremde dulden. Wir erfahren jedoch keine Aggression, nur distanzierte Kühle in den Blicken der Männer. Lediglich steinewerfende Kinder sind uns ein Dorn im Auge, doch manche von ihnen können von uns mit Bonbons besänftigt werden. Als wir nach 120 kurvenreichen Kilometern Indus Kosistan verlassen, wird nicht nur der Indus, sondern auch die Menschen sanfter. Die Schlucht weitet sich zu einem breiten Tal, die Vegetation wird dürftiger und am Horizont tauchen die ersten schneebedeckten Berge auf. Bei starken Wind, der den feinen Sand aufweht und die Berge in ein difuses Licht taucht, erreichten wir am Abend Gilgit.

Am Karakorum Highway

Die relativ kurze Etappe von Gilgit nach Karimabad führt uns weg vom Indus in das Hunza-Tal. Das ganze Tal ist bis Karimabad gesäumt mit Pappeln,Apfel-, Pfirsich-, Kirsch- und Wallnussbäumen, eine grüne Oase inmitten der sandigen und braunen Felsflanken von denen die Berge bis über 7000 m aufragen. Allen voran der bis tief ins Tal vergletschere 7790 m hohe Rakaposhi.

Das Örtchen Karimabad klebt steil an einem Hang und wird von dem Baltit Fort aus dem 13. Jahrhundert überragt. Hier zählen auch Frauen zum Strassenleben, die Menschen sind offener und noch gastfreundlicher wie wir es bis hierher auf dem Karakorum Highway erfahren haben. Der 28.09.05 ist für uns Gipfeltag. Früh morgens starteten wir, um die letzten 150 km auf den 4733 m hohen Khunjerab Pass unter die Räder zu nehmen. Die Strecke bietet fantastisch schöne Ausblicke auf spitz und bizarr geformte schwarze Felsberge, an denen steile Schnee- und Gletscherflanken zu kleben scheinen. Ab etwa 4000 m verspüren wir auf Grund der dünnen Luft einen deutlichen Leistungsverlust an der KTM, waren wir doch mit 100 PS in Karimabad gestartet, so kommen wir nach den letzten Serpentinen mit nur gut 50 PS an der weiten, flachen Passhöhe an. Da die Temperaturen mittlerweile unter den Gefrierpunkt gefallen sind, nehmen wir die Einladung zum Tee von den beiden für mehrere Monate hier Oben lebenden pakistanischen Grenzsoldaten dankend an. Sie verbringen hier ihren Leben in einem armseligen, verschmutzten und staubigen ca. 3 x 2 m grossen Raum. Als Koch- und Heizquelle dient lediglich ein alter Spirituskocher.

Durch viele Foto- und Filmstops kommen wir erst bei Einbruch der Dunkelheit ziemlich durchfroren in Karimabad an. Der nächste Tag soll uns nach Chillas, Ausgangspunkt für den unbefestigten Babusar Pass führen, von dem wir dann über zwei Tage nach Islamabad zurückfahren wollen. Doch es soll alles anders kommen. Schon in der Nacht schmerzte der linke Fuss von Thomas stark. Nach vier Wochen in den Motorradstiefeln waren seine Füsse doch sehr mitgenommen und eine Stelle war bereits bis ins Fleisch aufgerissen. Hieraus resultiert nun eine 5 x 5 cm grosse eitrige Entzündung, die ein Gehen kaum noch ermöglicht. Auf dem Weg nach Chillas kommt innerhalb kürzester Zeit noch Fieber hinzu und das Fahren fällt Thomas zunehmend schwerer. Bei einer Rast, nur 20 km vor Chillas, bricht er fast völlig zusammen. Die letzten Kilometer bis zum Hotel fährt Thomas fast aphatisch. Es muss jedoch sein, da uns hier kein anderer Übernachtungsort zur Verfügung steht. Schon auf dem Weg hierher kam unsere Reiseapotheke mit Antibiotika und fiebersenkenden Mitteln zum Einsatz. So ändern wir unsere Pläne und fahren auf dem schnellsten Weg, auf der bekannten Strecke über Besham nach Islamabad zurück. Der Fuss von Thomas erholt sich dank der Medikamente gut und wird wohl in den nächsten Tagen abgeheilt sein.

“ Das passierte sicherlich am Khunjerab Pass.” sagt Professor Massoud. “ Dieser extrem hohe Pass, die dünne Luft, die enorme thermische Belastung und vielleicht ein wenig schlechtes Benzin, hat schon viele Motoren beschädigt". Wir sitzen genau dort, wo uns mehr als eine Woche zuvor der eine oder andere finstere Blick zugeworfen wurde, in den engen und verwinkelten Gassen von Lahore, dabei wollten wir schon in Indien sein. Es geschah am Sonntag vergangener Woche auf dem Weg von Islamabad zur indischen Grenze. Auf halber Strecke bemerkten wir, dass Öl aus der Fussdichtung des vorderen Zylinders der KTM gedrückt wurde. Der Öldruck fiel ab und ein Weiterfahren war nicht mehr möglich. Prof. Massoud lehrt an der Universität von Lahore Elektrotechnik, studiert hat er in Houston/Texas. Er besitzt selbst mehr als zehn hier so genannte “Big bikes”. Ein grosser Raum unter seinem Haus in der Altstadt beherbergt unter anderen eine BMW GS 100 PD, GS 80, K 100, KTM LC 4, Honda CBX, Suzuki DR 800 sowie eine Benelli 900. Hier ist der Treffpunkt der lokalen “Big Bike Szene”, man schraubt und unternimmt regelmässig Endurotouren in den Himalaya. Alles in Allem wohl einmalig auf dem Subkontinent. Wie wir zu Prof. Massoud gefunden haben würde hier den Rahmen sprengen. Man muss jedoch von Glück oder Fügung reden, dass uns eine zufällige Begegnung bei unserer Panne “auf dem flachen Land” genau hierher in das Labyrinth von kleinen Gassen und dunklen Häusern der Neunmillionen Metropole Lahore zu Massoud führte.

Die vergangene Woche war für uns ein ständiges Auf und Ab zwischen Hoffnung doch noch Kathmandu mit der KTM zu erreichen und Tiefschlägen, die uns fast an ein Aufgeben denken liessen. Doch Massoud, in seiner Ruhe, versicherte immer nur: “ Don’t worry, everything can be fixed". Was war geschehen? Ein Kolbenring im vorderen Zylinder war gerissen und beschädigte die Beschichtung der Zylinderinnenwand. Dies sahen wir allerdings erst, nachdem am Montag sechs flinke Hände in Windeseile unsere LC 8 komplett zerlegten. Als diese dann in Kleinteilen vor Thomas lag, war er den Tränen nahe. Die freundlichen Helfer liessen jedoch nie Unsicherheit aufkommen, man hatte das Gefühl, dass sie täglich mehrere LC 8 Motoren auseinanderbauen.

Massouds Werkstatt

Was in den nächsten vier Tagen folgt, ist ein Meisterwerk orientalischer Improvisationskunst. Die Zylinderinnenwand wird abgedreht und erhält einen neuen Einsatz. Woher der neue 100er Kolbenring kommt, wird für uns immer ein Rätsel bleiben. Selbst als beim Montieren des Zylinders dann auch noch der Ölring bricht, ist innerhalb eines Tages für Ersatz gesorgt. Wir alle arbeiten täglich von sieben Uhr abends bis nach Mitternacht und in der Nacht des 6. Oktober hat alles bis auf die Vergaser und Verkleidungsteile wieder seinen Platz gefunden. Tagsüber haben wir Zeit genug, um Lahore und die Umgebung ausgiebig zu besichtigen. Heute am 07.10.05 erhält die KTM neues Öl und Kühlflüssigkeit und der grosse Moment rückt näher. Wie es auch immer weitergeht, wir haben hier viele Freunde gefunden, erhielten Einladungen für die nächsten Himalaya Endurotouren und Prof. Massoud gebührt die Ehre der ersten Probefahrt. Hatte es sich doch schon vor zwei Wochen in der Szene Lahores herumgesprochen, dass eine LC 8 in der Stadt ist und Massoud durch eine Feierlichkeit verhindert war, sich sein wohl nächstes Motorrad anzuschauen, so hatte sie, die KTM, nun ihren Weg zu ihm gefunden. Die Tage, wenn auch länger als geplant, gehen nun in Pakistan für uns zu Ende, ein wunderbar wildes Land, das für uns noch viele Geheimnisse birgt. Wenn alles gut läuft, werden wir unsere Reise morgen fortsetzen.

Inshaallaa, Indien wartet auf uns.

 

 

 

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