Nepal

 

Am Abend des 47. Tages unserer Reise rollen wir mit unserer KTM im äußersten Westen des Landes auf nepalesischen Boden. Die Zollabfertigung für das Motorrad verläuft schnell und unbürokratisch, nur der Grenzbeamte, der für die Einreisestempel in unseren Pässen zuständig ist, ist nicht aufzutreiben. Er sei in der Stadt heisst es und würde in einer halben Stunde oder am anderen Tag zurückkommen. Uns wird angeboten, zunächst ohne Stempel einzureisen, wir sollen Morgen dann wieder zur Grenze fahren, um die fehlenden Formalitäten zu erledigen. Ob und wann der Beamte des winzigen Grenzüberganges für uns Zeit hat, kann uns jedoch niemand garantieren. Einfach ohne Einreisestempel weiterzufahren kommt für uns nicht in Frage, da wir diesbezüglich schon von vielen Problemen bei der Ausreise gehört hatten.

Erst als Thomas einem Zollbeamten seinen Pass mit den neun Visa der vergangenen Reisen zeigt und damit droht sich bei der Regierung zu beschweren, bei der er sehr gute Kontakte hat (was allerdings nicht der Wahrheit entspricht), ist der zuständige Grenzbeamte nach einigen Telefonaten innerhalb von 20 Minuten in seinem Büro. Devot und in Windeseile, ganz offensichtlich aus Respekt vor den "guten Freunden" von Thomas aus Kathmandu, erhält dann jeder von uns die Einreisestempel. Als wir von dem Beamten dann auch noch überschwänglich verabschiedet werden, tut er uns fast ein wenig leid. Sorry, aber ein kleiner Schwindel muss schon mal sein.

Tiefland nepal

Am folgenden Tag durchfahren wir eine traumhaft schöne Landschaft. In der Ebene rechts und links der Fahrbahn liegen in gelb und grün getauchte Reis- und Getreidefelder. Nach Norden hin ragen die mal sanft geschwungenen, mal spitz zu laufenden bewaldeten Hügel des Mittelgebirges bis über 2500 m aus dem Tiefland heraus. Der Fahrbahnbelag ist bis auf wenigen Ausnahmen um ein vielfaches besser wie in Indien und Pakistan und macht das Fahren durch weit geschwungene Kurven zum reinsten Vergnügen.

60 km vor unserem Tageziel Butwal passiert dann das, was wir auf unserer gesamten Reise noch nicht erlebt hatten, es fängt an zu regnen. Wie wir später erfahren, waren die Niederschlagsmengen größer als im Monsun. Nass bis auf die Haut sind wir dann froh in dieser von Touristen kaum besuchten Region ein Hotel zu finden. Später wird uns bewusst, dass wir nach einem anderen Hotel hätten Ausschau halten sollen, was aber hier in Butwal bestimmt zu keinem besseren Ergebnis geführt hätte. Obwohl die Fassade nicht unbedingt schlecht aussieht, ist das Zimmer das wohl übelste unserer gesamten Reise. Für eine streng riechende Stehtoilette in einem total verschmutzten Bad, feuchten Wände mit bröckelnden Putz im Schlafbereich, Staub und Spinnweben im Überfluss und Bettwäsche mit der ehemaligen Grundfarbe weiß, bezahlen wir jedoch lediglich die Unsumme von 1,95 Euro pro Person. Am anderen Tag hat sich das Wetter gebessert und die letzte Etappe über 250 km bis Kathmandu liegt vor uns.

Nach etwa 80 km befinden wir uns aus vergangenen Reisen in vertrautem Gebiet. Wir biegen auf die Strasse von Mugling nach Kathmandu ein, die sich an den steilen Berghängen über den wilden Trisuli entlang schlängelt. Ab hier kann Thomas seine Aufregung kaum noch verbergen.

Um 15.00 Uhr erreichen wir die Passhöhe von Thankot und blicken nach Osten in den weiten Talkessel auf Kathmandu herab. Breit grinsend und überglücklich es bis hierher geschafft zu haben, durchfahren wir den uns bekannten dichten Verkehr der Stadt und stellen unsere KTM nach 13466 km vor dem Hotel Norling, welches für uns schon wie ein zu Hause geworden ist, ab. Mit Dankmar und Freunden aus Kathmandu verbringen wir einen feuchtfröhlichen Abend in einem der schönen Gartenrestaurants im Stadtteil Thamel. Da auf Grund der Verzögerung in Lahore ein Besuch von Darjeeling zeitlich nicht mehr möglich ist, arbeiteten wir schon am nächsten Tag eine Alternativroute aus. Diese soll uns und die KTM in den nächsten sieben Tagen über etwa 2000 km kreuz und quer durch das Land führen. Ziele werden Gebiete sein, die wir bisher noch nicht bereist haben.

Hoch über Pokhara

Am 26.10 starten wir in Richtung Pokhara, dem kleinen Städtchen am Pewa See zu Füssen des Annapurnamassivs. Vor einigen Jahren benötigte man für die 200 km lange Strecke auf Grund der schlechten Strassen noch 7-8 Stunden. Wir erreichen unser Hotel nach 4 Stunden Fahrzeit. Hier macht sich zum einen die Leistung der KTM bemerkbar, die ein zügiges und problemloses Überholen ermöglicht, zum anderen hat sich im Strassenbau Nepals einiges getan und der Belag ist nun auf der gesamten Strecke gut. Die 50 km lange Passage mit unzähligen grossen Schlaglöchern ist verschwunden.

Nach einigen kurzen Ausflugsfahrten befahren wir nach zwei Tagen den Siddharta Highway Richtung Süden. Versprechen die Strassen mit der Bezeichnung Highway ein schnelles Vorankommen, so sieht das in der Praxis anders aus. Highways werden alle aktuellen und ehemaligen Hauptverbindungsstrassen genannt, diejenigen, die durch die äusserst hüglige und zerklüftete Mittelgebirgslandschaft führen, sind extrem kurvenreich und weisen manchmal eine Fahrbahnbreite von nur 3-4 m auf. Was uns auf dem Siddharta Highway von Pokhara nach Lumbini, dem Geburtsort Buddhas beschert wird, kann mit Fug und Recht als Traumstrasse für Motorradfahrer bezeichnet werden. Mal eng, mal weit geschwungene Kurven, ständig wechselndes Auf und Ab durch üppig grüne Vegetation, entlang verschlafener Bauerndörfer, fast immer die leuchtend weissen vergletscherten 7- und 8-Tausender im Rückspiegel und wenig Verkehr machen die 150 km Kurvenfahrt zu einem Hochgenuss.

Schwemmland im Terrai

In Lumbini, tief im Süden Nepals, direkt an der indischen Grenze erwartet uns wieder feucht heisses Klima. Das kleine verschlafene Dörfchen wurde durch einen archäologisch Fund aus dem vorletzten Jahrhundert weltberühmt. Im einem Reisfeld fand man eine Säule mit alten Inschriften, die belegen, dass Prinz Siddharta, der spätere Religionsstifter Buddha, vor über 2000 Jahren hier geboren wurde. Im dunstigen Licht der aufgehenden Sonne besuchen wir die weitläufige gartenähnliche Anlage, in der sich viele internationale buddhistische Klöster niedergelassen haben.

Unser Weg führt uns nun wieder Richtung Osten durch das Terrai, dem einst malariaverseuchten Tiefland Nepals. Begrenzt durch den Mittelgebirgshöhenzug nördlich der Strasse überqueren wir viele der grossen Flüsse Nepals, die ihr Wasser in den Höhen des Himalaya in wilden Gebirgsbächen sammeln und im Süden durch grosse Schwemmlandzonen, von tropischen Wäldern und Reisfeldern begrenzt, nach Indien führen und alle im Ganges münden.

In Hetauda geht dann ein langjähriger Wunsch von Thomas in Erfüllung. Hier beginnt die alte und einst einzige Verbindungsstrasse von Indien nach Kathmandu. Die kühn angelegte und stellenweise extrem schmale Fahrbahn wird heute kaum noch vom Güterverkehr genutzt. Entsprechend spärlich wird demnach auch für den Erhalt der Fahrbahn gesorgt. Die über 70 km lange Fahrt bis zum höchsten Punkt der Strecke beginnend von etwa 100 m über dem Meer bis auf über 2400 m führt zunächst durch tropisch anmutende Wälder und eine fast alpine Kiefernwaldzone. Die Dörfer am Rand der Strasse erwecken den Eindruck ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein und lassen uns an viele Hausansiedlungen während unserer vergangenen Trekkingtouren in den Höhen des Himalaya denken. Wir sind erstaunt nach den Kiefernwäldern wieder in eine Zone mit tropischen Hochgebirgswald zu gelangen, in dem sich nun auf über 2000 m Wolken- und Nebelfetzen fangen und die Fahrt auf vielen unbefestigten Abschnitten, etliche kleine Bachläufe querend, in ein fast gespenstisches Licht tauchen.

In Daman auf über 2300 m erreichen wir unseren Übernachtungsort. Daman zählt hier als ein recht kaltes Gebiet, in dem auch zu dieser Jahreszeit die Temperaturen bis an den Gefrierpunkt sinken können. Um so überraschter sind wir, in unserer einfachen Unterkunft eine untertassengrosse, dicke, behaarte Spinne vorzufinden, die die Nacht ganz offensichtlich nicht draussen in der Kälte verbringen möchte. Da sich Claudia in den vergangenen Jahren schon mehrmals in Nepal als exzellente Spinnenfängerin bewährt hatte, wird auch dieses pelzige Krabbeltier nach kurzer Zeit von ihr vor die Tür gesetzt. Auf Grund des relativ grossen Schlitzes unter der Tür haben wir jedoch wenig Hoffnung, dass sich die Spinne mit ihrem Schicksal abfindet. Die exponierte Lage auf einem Höhenrücken macht Daman bei Sonnenauf und -untergang zu einem perfekten Aussichtsort. Zum Greifen nahe ragen Sieben- und Achttausender wie die Annapurna im Westen, Manaslu, Ghanesh Himal und Langtang im Osten hinter den grünen Höhenrücken hervor. Nach weiteren 60 kurvenreichen Kilometern haben wir wieder unseren Ausgangspunkt Kathmandu erreicht.

Arniko Highway

Am folgenden Tag führt uns die Fahrt auf dem Arniko Highway in den Norden des Landes, zur tibetischen Grenze. Nach rund 90 Kilometern auf recht gutem Fahrbahnbelag müssen wir noch 35 Kilometer recht rauhe Pistenstrecke bis zur Grenze bewältigen. Thomas hat sichtlich Spass dabei, unsere KTM wohl ein letztes Mal auf unserer Reise über derartige Geländeabschnitte zu bewegen. Extrem staubige, steinige Abschnitte wechseln sich mit tiefen von LKW verursachten Wellblechpassagen ab, immer wieder sind kleine Fluss- und Bachlaufpassagen sowie Abschnitte mit ausgefahrenem Morast zu bewältigen. Es sind Steilabschnitte zu überwinden, an denen vorausfahrende LKW mehrmals Anlauf nehmen müssen, um darüber hinweg zu kommen. Die Szenerie an der Grenze haben wir nicht erwartet. Einfache Bretterbehausungen und heruntergekommene Steinhäuser auf nepalesischer Seite und mit Fliessen verklinkerte verwahrloste Plattenbauten auf chinesischer Seite hier mitten im Hochgebirgswald wirken befremdlich auf uns. Der Versuch der Chinesen hier moderne Bauten zu errichten ist völlig fehlgeschlagen, ein Hauch von Tibet ist nicht zu spüren. Vor der Rückfahrt nach Kathmandu müssen wir dann einige Zeit suchen, um in einer Bretterbude 10 Liter Benzin zu ergattern, welches mit einem Trichter aus einem rostigen Kanister in unseren Tank gefüllt wird. Wir gönnen uns noch eine Nacht in einem Hotel auf dem wunderschönen Aussichtsberg in Nargakot und geniessen einen phantastischen Sonnenaufgang vor der Kulisse des Himalaya Hauptkamms.

Abflug

Schon vor einigen Tagen hatten wir uns um den Rücktransport unserer KTM gekümmert und die Zeit in Nepal geht für uns unaufhaltsam zu Ende. Als die letzten Hammerschläge die Transportbox des Motorrades auf dem Flughafen in Kathmandu verschliessen, stehen wir einige Zeit noch schweigend da und denken zurück. Einmal mehr waren wir fasziniert von der ausgeglichenen, warmen Herzlichkeit der Bewohner Nepals und den gewaltigen Bergriesen des Himalayas. Wir nehmen Abschied von einer eindrucksvollen Reise durch den asiatischen Kontinent, von Begegnungen mit Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen und deren Hilfsbereitschaft, die in unserem heutigen Europa ihresgleichen sucht.

Dank gilt somit den vielen namenlosen Helfern, die unseren Weg kreuzten und es uns ermöglichten ihr Land und ihre Lebensweise in angenehmer Erinnerung zu behalten.

Als wir mit dem Flugzeug samt Motorrad den Heimweg antreten, schauen wir oft ein wenig melancholisch hinab, auf den großen Indus, die unendliche erscheinenden Wüstengebiete Persiens und die weiten Steppen der Türkei, jene Gebiete, die wir Wochen zuvor auf zwei Rädern durchfahren hatten. Es ist das Ende eines grossen Abenteuers. Doch schon auf dem Heimflug ist uns beiden klar, dass dies nicht die letzte grosse Reise mit einem Motorrad war. Noch bevor unser Flugzeug in Frankfurt zur Landung ansetzt, sind neuen Pläne geschmiedet.