Kirgistan

 

Die usbekischen und kirgisischen Beamten machen den Grenzübertritt am 31. August zu einem Kinderspiel. Osh, die zweitgrösste Stadt Kirgistans, liegt vor uns. Nach sieben Fahrtagen ohne Pause und den beiden schweren Etappen in Tadschikistan wollen wir uns hier einen Tag Ruhe gönnen, unsere Kleider und das Motorrad waschen und es einer kleinen Inspektion unterziehen. Doch Osh ist seit zwei Tagen von der Wasserversorgung abgeschnitten, noch nicht einmal ein Tröpfchen kommt aus dem Wasserhahn. So müssen wir und das Motorrad sich noch zwei Tage bis Bishkek gedulden.

Heute, zehn Tage vor der seit Monaten geplanten Einreise nach China, bekommen wir die feste Zusage, dass wir in das Reich der Mitte mit dem Motorrad einreisen dürfen. Lange Verhandlungen, dutzende Emails und immer wieder “geänderte” neue Bestimmungen waren vorangegangen, bevor nun die Einreise für den 10. September, punkt 12.00 Uhr mittags (das ist kein Witz) bestätigt wurde. An unserem “freien” Tag ziehen wir stundenlang über den riesigen Basar von Osh. Hier gibt es nichts, was es nicht zu kaufen gibt. Von Obst, Gemüse, Bekleidung über billigen Plastik Schnickschnack aus China bishin zu alten Toilettensitzen in der Abteilung “ schon einmal gebraucht”, alten russischen Briefkästen und Armeeartikeln ist alles zu finden, was ein kirgisisches Herz begehrt.

Am Abend suchen wir uns eine der unendlich vielen Chaikhanas ( eine Mischung aus orientalischer Teestube und Dönerbude ) aus und bezahlen hier, wie auch die Tage zuvor, für zwei Salate, eine Suppe, drei riesige Schaschlikspiesse mit Lammfleisch, Tomaten und Paprika, einen Liter Cola und einen Liter Bier die Unsumme von 8 Euro. Der einzige Wehrmutstropfen von Osh sind die Stechmücken, die uns zwei Nächte lang gnadenlos verfolgt haben.

Als wir Osh verlassen sehen wir wenige Kilometer nach der Stadt die ersten Nomaden auf Pferden, die stolz durch die Steppe ziehen. Danach durchfahren wir den östlichen Teil des nun kirgisischen Ferganatals mit seinen monotonen, endlos erscheinenden Ebenen. Langsam steigen wir dann in die Ausläufer des Tien Shan Gebirges auf, durchfahren fast verwahrloste, triste und graue Orte bis wir im des Naryn-Flusses ankommen. Über mehr als 80 Kilometer ist hier der Fluss über fünf Stufen in dem engen Tal mit steil aufragenden Felswänden aufgestaut. Die Strasse windet sich in unzähligen Kurven über dem türkisblauen Fluss entlang und macht die Fahrt zu einem reinsten Vergnügen.

Toktogul See

Wie eine Fatahmorgana liegt dann der blaue Toktogul See vor uns, der von weissen und gelben Hügelketten umrahmt ist. Nach einem Abstecher zum Seeufer treffen wir vier holländische Motorradfahrer, die auf dem Weg in die Mongolei sind. Mit ihnen zusammen verbringen wir einen schönen Abend in dem einzigen Hotel auf der Strecke nach Bishkek und tauschen bis spät am Abend Traveller- Geschichten aus.

Über den sanft ansteigenden Ala- Bel Pass ( 3184 m ) erreichen wir ein riesiges Hochplateau mit unzähligen Jurten, freilaufenden Schaf- und Pferdeherden, das Land der kirgisischen Nomaden. Frisch gemolkene Stutenmilch und köstlich süsser Honig ( selbst probiert ) wird hier am Strassenrand angeboten. Im Vorbeifahren bekommen wir einen Eindruck vom einfachen und genügsamen Leben der Nomadenstämme. Nach dem Toer-Ashuu-Pass ( 3586 m ) durchfahren wir ein fast beängstigend enges Tal mit im Himmel spitz aufragenden Zinnen, die von trüben Wolkenfeldern umhangen sind. Wir passieren viele mobile Imkerstationen und erreichen nach gut 200 Kilometern die nördliche Ebene Kirgistans, die sich an die kasachische Steppe anschliesst.

In der Hauptstadt Bishkek treffen wir mit “Tom” ( Danke an Joe von OVERCROSS ) zusammen. Tom vermittelt uns Mitten in der Stadt ein privates Guesthouse. Hier sitzen wir in familiärer Atmosphäre im Gemüse- und Obstgarten und wurden von Tom mit nützlichen Informationen über unseren Weiterweg nach China durch die kirgisische Steppe versorgt. Heute am 4. September ist endlich der grosse Waschtag und Faulenzen angesagt. Der Gemüsegarten hängt mittlerweile voll mit unserer Bekleidung und auch die KTM steht frisch gewaschen nach einer Mini-Inspektion im Innenhof. Wir sind gespannt auf die von Tom so wunderbar beschriebene Landschaft Zentralkirgistans, es kann nun weitergehen.

Morgens verabschieden wir uns von unserer freundlichen russischen Gastfamilie und verlassen Bishkek entlang der kasachischen Grenze Richtung Osten. Einladende Dörfer mit weissgetünchten Wänden, hellblauen Holzvertäfelungen und üppige Bauerngärten begleiten uns auf dem Weg zum Issyk-Kul See, über dem dunkle Wolken nichts Gutes verheissen. Urplötzlich wird es so kühl, dass wir zum ersten Mal die Jacken anziehen müssen. Vom Regen verschont fahren wir über 200 Kilometer am Nordufer des riesigen azurblauen und knapp 700 m tiefen Sees bis Karakol entlang. Vier- und fünftausend Meter hohe Gebirgszüge reichen in sanften Hügeln auslaufend bis an das Ufer heran. Unser Homestay, eine Mischung aus Pension und privater Unterkunft , bei "Olga und Valentina" zu finden ist nicht einfach. Doch das suchen hat sich gelohnt, hinter einem grossem blauen Holztor verbirgt sich ein Bauernhöfchen, wie zu Oma's Zeiten. Ein kunterbunter Blumen- und Gemüsegarten, von himmelblauen Holzzäunen umgeben, schwer beladene Birnen- und Apfelbäume, ein Hühnerstall und in der Sonne tollende Jungkatzen machen alles zusammen zu einem Idyll. Zum Frühstück gibt es hausgemachte Marmelade, selbstgebackenen Kuchen, Obst aus dem Garten und frische Eier, Herz was willst Du mehr.

Nach einem Ruhetage in Karakol mit seiner wunderschönen hölzernen Kirche starten wir zu den letzten vier Etappen zur chinesischen Grenze. Die wohl grösste Hürde unserer Reise, der Torugart Pass, kirgisisch-chinesischer Grenzpunkt, wartet auf uns. Es ist Asiens unberechenbarster Grenzübertritt mit eigenen Regeln, in die nur Wenige eingeweiht sein sollen, die sich von Tag zu Tag ändern können. Heftige Sandstürme aus der chinesischen Takla Makan Wüste im Süden oder auch im Sommer plötzlich einsetzender starker Schneefall aus Kirgistan können die Überquerung unmöglich machen. Wir sammelten bisher die unterschiedlichsten Informationen vom Zustand der Piste, die von gut befahrbar bis hin zu mit Metallschrott gespickten Belag reichten, wir sind gespannt.

Buben

Am 7. September befahren wir das Südufer des Issyk-Kul Sees in Richtung Westen. Zum Greifen nah erscheinen die über 5000 m hohen Berge des Tien Shan Gebirges mit ihren schneebedeckten Gipfeln und grossen Gletscherfeldern. Durch eine atemberaubende Landschaft aus kahlen steil geschwungenen braunen dreitausend Meter hohen Hügeln, weissen Bergspitzen und blauen Gebirgsseen erreichen wir unser Tagesziel Kochkor in gut 2000 m Höhe. Wieder einmal kommen wir in einen der gemütlichen Homestays unter, lassen uns von der Gastfamilie bekochen und beschliessen den Abend mit Tagebuch schreiben in unserem Zimmer gemütlich mit einem Bier.

Mit dem Ruf des Muezzins beginnen wir den Tag. Da unser nächster Übernachtungsort, Naryn, nur 150 km entfernt liegt, machen wir einen Abstecher zum Song-Koel See, der auf einer Höhe von über 3000 m auf einer riesigen Hochebene liegt, von Hügeln umrahmt ist und den Nomaden als Sommerweide dient. Überall in Kirgistan begegnen uns die Menschen auf Pferden. Von Kindesbeinen an sitzen die Jungen und Mädchen auf den Pferderücken und lernen das Hüten des Viehs in den weiten einsamen, Wind und Wetter ausgesetzten Steppen. Auf dem Weg zum Song-Koel See haben wir 50 km perfekte Piste vor uns. Mit 70, 80, 90 Stundenkilometer preschen wir über den Schotter, finden einen guten Rhythmus auf dem Wellblech und in den Kehren zum über 3200 m hohen Kalmak-Ashuu Pass. Umgeben von harmonisch geschwungenen mit herbstlichem Gras bewachsenen Hügeln, die schroffen felsigen Berge am Horizont, ist dieser Weg ein bisheriges Highlight der Reise. Im weichen, feinen Schotter genügt ein kurzer Zug am Gas, um die KTM wieder in die richtige Bahn zu bringen, ein perfekter Endurotag, trotz der doch beachtlichen Beladung. Nur eine riesige graue Regenwolke über dem See trübt die Aussicht auf die sonst so herrlich fotogene Landschaft.

Im besten und einzigen Restaurant von Naryn geraten wir mitten in eine Familienfeier, mit DJ und allem was sonst noch dazu gehört. Möchten Sie sehen, wie kirgisische Steppenreiter zu Techno- Musik tanzen? Dann müssen Sie nach Naryn kommen.

Piste nach Tash Rabat

Heute am 9. September steht nur eine 130 km lange Etappe auf dem Programm. Wir haben uns die alte Karawanserei Tash Rabat, der chinesischen Grenze am nächsten gelegen, als Übernachtungsort ausgesucht und werden nicht enttäuscht. In einem engen Hochtal auf 3500 m, das als einstiger Karawanenweg nach China diente, fallen herbstlich braune Almwiesen mal steil, mal sanft zu einem Gebirgsfluss herab. Es gibt hier oben natürlich kein Hotel, man kann jedoch bei den Nomadenfamilien in Jurten übernachten. Zum Abendessen gibt es frisch geschlachtetes Hammelfleisch und vorher wechselten Claudia und ich von 98 PS auf 2 PS und streiften auf einem Pferderücken durch das einsame Tal. Dieser Tag ist für uns einer der schönsten auf der bisherigen Reise.

10. September, 05.00 Uhr. Heute wird sich entscheiden, ob wir unseren Weg bis Kathmandu fortsetzen können. Kommen wir zur festgelegten Zeit auf dem Torugart Pass und an der Grenze an? Hält unser chinesischer Partner Wort und ist auch dort? Wie wird das Wetter werden? Nach einer eisig kalten Nacht in der Jurte, die nur mit getrockneten Kuhfladen für kurze Zeit beheizt wurde, machen wir uns bei gut - 5 Grad auf den Weg. Schon gestern hatten wir bis hierher über 60 Pistenkilometer zurückgelegt. Nach kurzer Zeit sind die Finger von Thomas so steif gefroren, dass es ihm schwerfällt Kupplungs- und Bremshebel auf der brettharten Wellblechpiste zu bedienen. Es liegen noch über 80 km bis zur Passhöhe unter diesen Bedingungen vor uns. Belohnt werden wir allerdings mit der absoluten Einsamkeit des beginnenden Tages in dieser unendlich Steppen- und Hochgebirgslandschaft. Dennoch sehnen wir uns nach den ersten Sonnenstrahlen, am absolut wolkenfreien Himmel, die uns die erste Wärme bringen werden. Zwei Stunden später, die Kälte vergessen, von der Landschaft tief beeindruckt, stehen wir nun, ohne Reifenpanne, ohne die so oft beschriebenen Widrigkeiten des Wetters auf 3752 m an der kirgisisch- chinesischen Grenze auf dem Torugart. Wir haben den wohl schwierigsten und für Selbstfahrer auf dem Weg nach China kompliziertesten Grenzpass Asiens schadlos gemeistert. Die kirgisischen Grenzbeamten tun ihr übriges und erlauben uns eine völlig problemlose Ausreise nach China.

Piste zum Torugart Pass

Wir haben nun die alten Sowjetrepubliken verlassen, zu Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan können abschliessend folgendes festhalten:

Usbekistan fasziniert durch die kulturellen Bauten der alten Seidenstrasse und die unglaublich Gastfreundschaft der Menschen. Tadschikistan ist eine echte Herausforderung für alle Selbstfahrer auf den fast durchwegs katastrophalen Pisten in einer wilden Gebirgslandschaft. Kirgistan lebt von der unendlich vielfältigen Steppenlandschaft, den Seen und den Nomadenstämmen, es ist ein echtes Enduroparadies.

Für alle drei Länder gilt folgendes zu beachten:

- Toilettenpaper hier, ist bei uns unter dem Namen Krepppapier bekannt.

- Männer mit Hut im Auto sind nicht nur in Deutschland eine potentielle Gefahr.

- Drei bis fünf Wodkas zum Frühstück ist nicht der Beginn von Alkoholismus.

- Chinesische Strassenbauarbeiter können eine gut befahrbare, 100 km lange Piste spielend in eine Motocross-Strecke verwandeln.

- Die Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland ist vollzogen, es gibt keine DDR mehr!

- Hier trägt fast jeder über 40 Jahre einen Hut.

- "Guten Abend Fräulein, möchten Sie tanzen?" stand wohl auf der ersten Seite des Handbuches für sowjetische Soldaten in der DDR - manche Dinge vergisst man nie!

- Helmut Kohl ist definitiv nicht mehr Bundeskanzler.

- Stutenmilch und Pferdesalami mit Griebenstücken so gross wie Zuckerwürfel können zu starkem Erbrechen und Durchfall führen - fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker.

- Möchten Sie die volle Produktpalette von Audi und Mercedes bis 1990 noch einmal fahrend erleben, dann kommen Sie doch einfach hierher.

- Hier sind Polizisten und Grenzbeamte besser als ihr Ruf.